Kürzlich besuchte ich eine Kläranlage in Münster. Wer noch niemals eine Kläranlage besichtigt hat mag einmal versuchen, sich vorzustellen, was Abwasser darstellt. Eine stinkende, reichhaltige Mischung an Stoffen die im Frühstadium der Fäulnis in einer Kläranlage ankommt. Sie besteht aus Regenwasser, dem öligen Dreck der Straßen, der schmutzigen Seifenlauge aus den Waschmaschinen, fettigen Küchenabfällen, menschlichen und tierischen Ausscheidungen, Erbrochenem, legal und illegal entsorgten Abfällen von Malern, Handwerkern, Heimwerkern, Bauern und Autowerkstätten sowie einer Fülle an anderen in die Kanalisation gespülten Unrats aus unzähligen Abflüssen der Industrie, der Haushalte, aus Schleusenräumen und Abwasserrohren.
Mikroorganismen nehmen diese Drecksbrühe auf und verwandeln sie in mehreren Reinigungsstufen wieder in Wasser, dass sauber genug ist, um wieder in einen Fluss geleitet zu werden oder chloriert und behandelt wieder als Trinkwasser genutzt werden zu können.
An diesem Säuberungsprozess sind viele Mikroorganismen beteiligt, Bakterien, Pilze und Protozoen. Die eher unauffällige Erscheinung einer Kläranlage täuscht über die Effizienz und Komplexität der Mikroorganismen hinweg.
Sieht man die verschiedenen Behälter und Rieselfilter mit ihren langsam rotierenden Armen, wird einem kaum die emsige chemische Aktivität bewusst, mit der die mikrobiellen Aasfresser die vielen Komponenten des Abwassers abbauen und umwandeln.
Obwohl zur Optimierung der Abwasserreinigung Wissenschaft und Technologie bemüht wurden, stammen die verantwortlichen Mikroorganismenkomplexe ursprünglich aus anderen natürlichen Quellen. In der Kläranlage haben sie sich in einer für sie günstigen ökologischen Nische getroffen. Sie vollziehen hier die gleichen Prozesse, durch die tierische und pflanzliche Abfälle beseitigt werden.
Mikroorganismen zerlegen Proteine und andere komplexe Bestandteile in einfachere Substanzen. Stickstoff aus organischen Molekülen wird in Ammonium umgewandelt, dieses wird wie im Boden zu Nitrat oxidiert.
Zusätzlich zu diesen und weiteren natürlichen Stoffwechselprozessen bauen spezialisierte mikrobielle Aasfresser die vielen künstlichen Verbindungen ab, die ebenfalls ins Abwasser gelangen. Dies sind u.a. Detergenzien aus Spül-und Waschmitteln und die bereits erwähnten legal und illegal entsorgten Industrieabfälle.
Die organischen Substanzen in der Kläranlage bestehen sowohl aus toter Materie als auch aus Bakterien wie etwa Escherichia coli, die über Toiletten in riesigen Mengen eingeleitet werden. Krankheitserreger, wie z.B. das Typhusbakterium, werden wirksam zerstört. Durch die Arbeit der Mikroorganismenfauna können Erreger wie die von Typhus, Cholera und Ruhr sich nicht mehr so ausbreiten wie früher, als der Abfall noch auf die Straße geworfen wurde.
Nach der Entfernung von groben Bestandteilen, wie Flaschen, Holz und andere Feststoffe besteht einer der wesentlichen Vorgänge aus einer komplexen Abfolge chemischer Reaktionen, die in einem Fermentationsbehälter unter Luftabschluss ablaufen. Diese Behälter sind oft eiförmig und werden als Faulturm bezeichnet.
Einige dieser Umwandlungen ähneln dem Verdauungsprozess im Pansen (s. Artikel „Mikroorganismen als Methanproduzenten“) andere der alkoholischen Gärung über die ich schon im Artikel: „Mikroorganismen sorgen für unser leibliches Wohl“ geschrieben habe. Viele verschiedene Mikroorganismen sind an Vorgängen beteiligt, die von Ausgangssubstanzen wie Fasern und Cellulose zu Methan und Kohlendioxid führen. Das entstandene Gas kann zum Betreiben von Heizungsanlagen abgeleitet werden.
Mindestens vier Gruppen der Mikroorganismen in dem Gärbehälter haben spezielle Aufgaben. Einige verdauen unter Einsatz ihrer Enzyme (s. Artikel: „Die Enzymproduzenten“) organische Substanzen und setzen lösliche Verbindungen frei. Andere Mikroorganismen vergären diese Verbindungen zu Alkohol und Säuren, die von einer dritten Gruppe zu Kohlendioxid und Wasserstoff abgebaut werden. In der vierten Gruppe nehmen einige Spezialisten einen Teil dieser Gase auf und bilden Methan.
Diese Vorgänge laufen in verschlossenen Tanks ab , in die von Zeit zu Zeit Wasser zugeleitet wird. Die Produkte werden abgezogen. Übrig bleibt ein fester Bodensatz und ein flüssiger Überstand, der durch die Umwandlung seiner organischen Komponenten in gasförmige Stoffe stark reduziert ist.
Der genannte Vorgang läuft zwar nicht besonders schnell ab, ist aber sehr effizient.
Ein Stück Leinen beispielsweise verschwindet durch die Aktivitäten der Mikroorganismeninnerhalb von fünf bis sieben Tagen.
Es gibt auch Kläranlagen, bei denen Reinigungsstufen mit Mikroorganismen betrieben werden, die in Anwesenheit von Sauerstoff arbeiten.
Hier hat man in der Regel einen Rieselfilter aus einer etwa zwei Meter dicken Stein- und Koksschicht errichtet. Auf diese Schicht wird unter rotierenden Armen das Abwasser aufgespritzt. Dieses stammt entweder aus den Abbauprozessen in dem anaeroben Behälter oder direkt aus der Kanalisation.
Auf den Steinen gedeiht eine gemischte Population von Mikroorganismen. Während die Abwässer nach unten sickern, steigt Luft durch den Filter nach oben. Fädige Pilze und Mikroorganismen, u.a. Schleimbildner, entfernen organisches Material aus dem Rieselgut und helfen gleichzeitig, den mikrobiellen Film auf den Steinen festzuhalten.
Einige der Mikroorganismen werden mit der Zeit von Protozoen gefressen, diese wieder von größeren Organismen. Als Ergebnis dieser Nahrungskette wird in den Rieselanlagen das organische Material aus dem Abwasser entfernt und durch die Atmung der Protozoen in Kohlendioxid umgewandelt.
Gleichzeitig laufen noch andere chemische Prozesse ab. Das organische Material wird zum Teil von speziellen Mikroorganismen aufgenommen und oxidiert, wodurch Stickstoff als Ammonium frei wird.
Mikroben, die sonst nur im Boden vorkommen oxidieren dieses zu Nitrat. Ähnlich verhält es sich mit dem organischen Schwefel. Dieser wird als Schwefelwasserstoff von verschiedenen Mikroorganismen in die weniger gefährlichen Sulfate umgewandelt. Schließlich extrahieren weitere Mikroorganismen Phosphor aus Nucleinsäuren und bauen ihn zu Phosphat ab.
Eine andere, weiter verbreitete Methode zur aeroben Abwasseraufbereitung ist die der Belebtschlämme. Hierbei werden große Mengen Pressluft oder Sauerstoff durch einen Behälter mit Abwasser gedrückt. Suspendierte mit Mikroorganismen durchsetzte Partikel flocken nach einiger Zeit in winzigen klebrigen Massen aus, die auf dem organischen Material gedeihen und diese schnell und effizient abbauen.
Diese Flocken bezeichnet man als Belebtschlamm. Das Bakterium Zoogloea ramigera nimmt in den Flocken eine Schlüsselrolle ein, in dem es Schleim bildet, an dem Protozoen und andere Mikroorganismen haften. Die chemischen Reaktionen laufen ähnlich ab wie in den Rieselfiltern.
Ab und zu wird die Flüssigkeit des Behälters in einen Ruhetank gepumpt und anschließend ein Teil des sedimentierenden Schlammes zum Starten des Vorgangs in den Haupttank zurückbefördert. Der getrocknete Rest kann als Dünger verwendet werden.
Welchen von diesen Prozessen wir auch betrachten, jeder zeigt die bemerkenswerte Wirksamkeit und Vielseitigkeit der Mikroorganismen, die praktisch nie versagen. Wenn Schwankungen in einer der Entsorgergemeinschaften auftreten, liegt dies immer daran, dass irgendeine illegal in großer Menge in das Abwasser geleitete Chemikalie die Population aus dem Gleichgewicht bringt. Ansonsten arbeiten die Mikroorganismen in der Kläranlage leise und stetig und bauen alles ab, was wir ihnen anbieten.